14.05.19

Urteil des Bundesgerichtshofs zur Kündigung langlaufender Sparverträge der Sparkasse Stendal – Schlussfolgerungen mit Blick auf die Scala-Sparverträge der Sparkasse Ulm

Der Bundesgerichtshof hat heute Nachmittag entschieden, dass die Kündigung langlaufender Sparverträge „S-Prämiensparen flexibel“ der Sparkasse Stendal nach Erreichen der höchsten Prämienstufe wirksam ist. Zu dem Urteil liegt – abgesehen von einer Vielzahl von Medienberichten – seitens des Bundesgerichtshofs bislang nur eine Pressemitteilung vor, die hier verlinkt ist. Die Ausfertigung und Veröffentlichung des Urteils wird noch einige Zeit dauern.

Der von dem Bundesgerichtshof entschiedene Rechtsstreit weist auf den ersten Blick eine Vielzahl von Parallelen zu den Rechtsstreiten um die Scala-Verträge der Sparkasse Ulm auf. Da ich, Rechtsanwalt Christoph Lang, die Scala-Rechtsstreite für eine Vielzahl von Sparern gegen die Sparkasse Ulm geführt habe (alle Verfahren endeten im Februar 2016 mit einem Vergleich, siehe dazu Post vom 05.02.2016) und die Scala-Verträge zum Teil noch viele Jahre laufen werden (die vorgesehenen Mindestvertragslaufzeiten der noch längst laufenden Verträge enden erst im Jahr 2030), möchte ich zu den (vermeintlichen?) Parallelen wie auch (vermeintlichen?) Unterschieden zwischen dem Ulmer und dem Stendaler Fall kurz Stellung nehmen:

  1. Vorweg ist zu betonen, dass der Vergleich von Rechtsstreiten bzw. der sie entscheidenden Urteile fast immer mit mehr oder weniger erheblichen Unsicherheiten behaftet ist. In dem heute entschiedenen BGH-Fall dürfte es allem Anschein nach maßgeblich auf die Auslegung der vertraglichen Abreden angekommen sein, die die Vertragsparteien, d.h. die Sparer und die jeweilige Sparkasse, bei Abschluss der Sparverträge getroffen haben. Diese Abreden genau zu analysieren und mit dem Ulmer Scala-Fall zu vergleichen wäre voraussichtlich nur möglich, wenn man vollständige Kenntnis der Gerichtsakten beider Verfahren hätte. Zumindest die vollständigen Urteile des Bundesgerichtshofs und der vorinstanzlichen Gerichte wären erforderlich, um solide Schlussfolgerungen ziehen zu können. Freilich liegt das Urteil des Bundesgerichtshofs derzeit noch gar nicht vor, nur die genannte Pressemitteilung. Die nachfolgenden weiteren Ausführungen sind daher teilweise unsicher und spekulativ.
  2. Die Sparverträge „S-Scala Ulm“ und „S-Prämiensparen flexibel“ weisen – soweit bekannt – die folgenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf: Beide Verträge verfügen über eine Prämienstaffel, die dem Sparer einen besonderen Prämienanreiz für langjähriges Sparen bieten soll. Nach dem Stendaler Prämienmodell dauert es 15 Jahre bis man die höchste Prämienstufe erreicht, bei dem Ulmer Scala-Vertrag sind es 20 Jahre. Völlig unterschiedlich ist die Prämiengestaltung: Nach dem Stendaler Vertrag erhält der Sparer in der höchsten Stufe eine Prämie von 50% der jährlich geleisteten Sparbeiträge, nach dem Ulmer Scala-Vertrag sind es feststehende Zinsen in absoluten Zahlen, nämlich in den letzten fünf Jahren der vorgesehenen 25-jährigen Mindestvertragslaufzeit 3,5% (Bonus)Zinsen auf das dann angesparte Sparguthaben. Ob und ggf. inwiefern es dem Sparer bei dem Stendaler Vertrag möglich ist, seine monatliche Sparrate zu variieren, ist mir derzeit nicht bekannt. Bei dem Scala-Vertrag ist dies nach der nicht rechtskräftig gewordenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23.09.2015 in einer Marge zwischen € 25,- und € 2.500,- möglich und der entscheidende Faktor, warum die Ulmer Scala-Verträge für die Sparer heute so außerordentlich attraktive Geldanlagen sind.
  3. Nach der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs scheint der Senat seine Entscheidung maßgeblich auf eine Auslegung der Vertragsantragsformulare gestützt zu haben, die zum Abschluss der Stendaler Verträge verwendet worden sind. Die parallel zu den Verträgen vorgelegten Werbeprospekte hat er ausdrücklich als nicht vertragsbestimmend angesehen, weil es sich dabei lediglich um werbende Anpreisungen handele, denen ein durchschnittlicher Sparer eine Änderung oder Erweiterung der wechselseitigen Ansprüche und der aus dem Sparvertrag folgenden Rechte, Pflichten und Obliegenheiten nicht entnehmen könne.
  4. Dagegen kam es in den Ulmer Scala-Rechtsstreiten nach den übereinstimmenden Entscheidungen des Landgerichts Ulm und des Oberlandesgerichts Stuttgart sogar ganz entscheidend auf die Angaben an, die die Sparkasse Ulm in ergänzenden Dokumenten zu den Scala-Verträgen außerhalb der eigentlichen Vertragsabschlussdokumente gemacht hat. In den Ulmer Fällen musste auf den Werbeflyer und die in den Scala-Sparbüchern auf der letzten Seite eingeklebten Vermerke nämlich schon deshalb zurückgegriffen werden, weil in dem Kontoeröffnungsformular (=Vertragsabschlussdokument), das von dem Sparer und der Sparkasse Ulm unterschrieben wurde, praktisch keinerlei Scala-spezifische Vertragskonditionen genannt waren. In der Regel wurde dort lediglich vermerkt, dass es sich um einen Scala-Vertrag handelt, der eröffnet werden soll, ohne im Geringsten zu bestimmen, was denn ein Scala-Vertrag sein soll? Ein Beispiel eines solchen Kontoeröffnungsdokumentes haben wir unter „Downloads – Wichtige Dokumente aus den diversen Scala-Streitsachen“ zur vollständigen Nachvollziehbarkeit vorgelegt.
  5. Soweit sich aus der heutigen Entscheidung des Bundesgerichtshofs ergibt, dass die Bank einen unbefristet laufenden Sparvertrag jederzeit kündigen kann – freilich vorausgesetzt, die Mindestvertragslaufzeit ist abgelaufen, sofern eine solche vereinbart wurde (?), s.o. Ziff. 3, 4 zur Vertragsauslegung – ist dies geradezu eine Selbstverständlichkeit, die sich regelmäßig aus mehreren Rechtsgrundlagen ergeben wird. Im Stendaler Fall haben sich die Gerichte anscheinend in erster Linie auf die AGB der Sparkassen gestützt, dort Nr. 26. Die gleiche Rechtsfolge ergibt sich aus § 488 Abs. 3 BGB. Wie sollte es auch anders sein? Ein unbefristet laufender Darlehensvertrag muss natürlich für beide Seiten (jederzeit) kündbar sein. Natürlich war diese Prämisse auch in den Ulmer Streitfällen zu keinem Zeitpunkt streitig. Dort war vielmehr eine teleologische Reduktion des § 489 BGB streitentscheidend (siehe Urteil des OLG Stuttgart vom 23.09.2015, S. 28-31).
  6. Fazit: Es ist derzeit noch völlig offen, ob die heutige Entscheidung des Bundesgerichtshofs eher dafür spricht oder eher dagegen spricht, dass auch die Sparkasse Ulm die vielen Tausend noch laufenden Scala-Verträge kündigen könnte und/oder ob die nicht rechtskräftig gewordenen Urteile des Landgerichts Ulm und des Oberlandesgerichts Stuttgart, die in Sachen „Scala“ ergangen sind, als „überholt“ bzw. „falsch“ zu gelten haben. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass sich aus der Entscheidung des BGH nahezu keine belastbaren Erkenntnisse für den Ulmer Fall ergeben. Ehe weitere Schlussfolgerungen verlässlich gezogen werden können, müssen zunächst (mindestens) die Entscheidungsgründe zu dem heutigen Urteil des Bundesgerichtshofs abgewartet werden. Kein Grund zur Sorge dürfte dagegen für alle jene Scala-Sparer bestehen, die seit dem Ende der hiesigen Scala-Rechtsstreite „gut gemachte“ Vergleiche mit der Sparkasse Ulm abgeschlossen haben. Wenn in diesen Vergleichen alle in der Vergangenheit bekannten Streitpunkte umfassend und klar geregelt worden sind, dürfte kein Raum für weitere Diskussionen bestehen.
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