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RA Lang obsiegt in Grundsatzverfahren zur Preisfindung bei Oldtimern, insbesondere: zur Sittenwidrigkeit eines Oldtimerverkaufs.

Mit Urteil vom 08.03.2017 hat das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG Stuttgart Az. 3 U 30/16 hier abrufbar, LG Ulm Az. 4 O 181/13) wichtige, grundlegende Regeln zur Preisfindung bei Oldtimern festgestellt, mit denen sowohl den Käufern als auch den Verkäufern solcher Fahrzeuge Pflichten auferlegt werden, die in der Praxis häufig nur sehr schwer zu erfüllen sind. Dabei basiert das mittlerweile rechtskräftig gewordene Urteil des Oberlandesgerichts nahezu vollständig auf Grundsätzen, die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt sind.

Eine Abweichung des Kaufpreises vom Verkehrswert um mehr als Faktor 2 inzidiert die Sittenwidrigkeit des Geschäfts

Die zentralen Leitsätze des Urteils des Oberlandesgerichts Stuttgart, Az. 3 U 30/16, lauten:

(1) Der Verkauf eines Oldtimers ist in der Regel als sittenwidrig und damit als rechtsunwirksam anzusehen (= tatsächliche Vermutung), wenn der zwischen den Parteien vereinbarte Kaufpreis um mehr als das Doppelte über oder mehr als die Hälfte unter dem objektiven Wert des Oldtimers (der im Streitfall von einem Sachverständigen zu bestimmen ist) liegt.

(2) Ein besonderes Affektionsinteresse (i.e. „Liebhaberinteresse“) einer der Kaufvertragsparteien oder sonstige besondere Umstände, die die vorstehende tatsächliche Vermutung ausnahmsweise widerlegen können, sind im Streitfall von der Partei darzulegen und zu beweisen, für die sich der vereinbarte Kaufpreis verglichen mit dem objektiven Wert des Oldtimers als günstig darstellt.

Alle diese Regeln entsprechen der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Verkauf von Immobilien und wertvollen beweglichen Sachen.

Nochmals in anderen Worten (weil es für das Rechtsverständnis vieler Laien so überraschend ist): Die Vereinbarung eines Kaufpreises, der um mehr als Faktor 2 von dem objektiven Wert des Oldtimers nach oben oder unten abweicht, ist im Regelfall nicht wirksam möglich!

Völlig unerheblich ist dabei, welche der Vertragsparteien den Kaufpreis vorgeschlagen bzw. angeboten hat. Selbst wenn dies allein durch die beungünstigte Partei geschehen ist, ist das Geschäft infolge Sittenwidrigkeit grundsätzlich nichtig.

Streitgegenstand in dem entschiedenen Fall

Auf das Wesentliche zusammengefasst lag dem Streitfall der folgende Streitgegenstand zugrunde:

Der Kläger ist ein Sammler von Oldtimern, der den Erwerb von Oldtimern (auch) als Geldanlage betrachtet und mit seinen Käufen maßgeblich auf Wertsteigerungen spekuliert. Zu der Sammlung des Klägers gehören bzw. gehörten Fahrzeuge im Gesamtwert von geschätzt mehreren Millionen Euro, darunter mehrere AWE-Rennwagen, ein BMW 507 sowie ein Adler Sport.

Der Beklagte ist ein erfahrener Oldtimer-Experte und -Sammler mit mehreren Jahrzehnten Erfahrung. Er war lange Jahre Veranstalter des Oldtimer-Markts „Technorama“ in Ulm.

Im Januar 2008 hat der Kläger von dem Beklagten einen Veritas Coupé „Nürburgring“, Chassis-Nr. 4005, Baujahr 1952, zu einem Kaufpreis von € 350.000,- erworben. Bei dem Erwerb ließ sich der Kläger von dem in Fachkreisen bekannten Oldtimerhändler, Herrn K, beraten. Dieser hat für den Kläger zunächst ein den Vorgaben des Klägers entsprechendes Fahrzeug gesucht, dieses schließlich bei dem Beklagten gefunden, es dort in Augenschein genommen und dem Kläger, seinem Auftraggeber, sodann die wesentlichen Details zu dem Fahrzeug mitgeteilt. Zu einem persönlichen Kontakt zwischen Kläger und Beklagten kam es nicht.

Den letztlich gezahlten Kaufpreis in Höhe von € 350.000,- hat der Kläger vor Vertragsabschluss mit dem von ihm beauftragten Herrn K besprochen. Ob der Kaufpreis erstmals von dem Beklagten genannt und/oder von ihm verlangt wurde oder ob der Kaufpreis einseitig von dem Kläger geboten und sodann von dem Beklagten (lediglich) akzeptiert wurde, war bis zuletzt streitig, von dem Gericht mittels Beweismitteln jedoch nicht mehr feststellbar.

Zum Abschluss des Vertrages kam es, indem der Kläger einen von ihm formulierten und unterzeichneten Kaufvertrag, in dem ein Kaufpreis in Höhe von € 350.000,- eingetragen war, postalisch an den Beklagten übersandte. Dieses Dokument unterzeichnete der Beklagte und sandte es an den Kläger zurück. Die Gesamtlänge des Kaufvertrages betrug neun Zeilen.

Verfahrensgang

Der Kläger hat sich ca. fünf Jahre nach Abschluss des Kaufvertrages mit dem Beklagten auf die Sittenwidrigkeit des Geschäfts berufen und dies im Kern damit begründet, dass der von ihm gezahlte Kaufpreis um mehr als das Doppelte überhöht gewesen sei. Er hat den Beklagten vor dem Landgericht Ulm auf Rückabwicklung des Kaufvertrages, d.h. Rücknahme des Veritas Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises, verklagt.

Die Beweggründe, die den Kläger erst so lange Zeit nach dem Vertragsschluss zur Vorbringung dieses Anspruches brachten, waren komplex, im Ergebnis für die Entscheidung des Streitfalls jedoch nicht entscheidend.

Im Laufe des Verfahrens I. Instanz hat der Kläger zwei von ihm beauftragte und bezahlte Parteigutachten vorgelegt, die übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangten, dass der Veritas einen objektiven Wert zwischen € 100.000,- und € 150.000,- hat.

Zudem hat das in I. Instanz befasste Landgericht Ulm einen Sachverständigen der Dekra Automobil GmbH mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Danach ging auch der Dekra-Sachverständige davon aus, dass das Fahrzeug, einen Wert in Höhe von € 120.000,- bis € 150.000,- hat. Begründet hat der Sachverständige dieses Ergebnis mit den folgenden zentralen Aussagen:

  • Der Veritas sei als „Unikat“ „kein allgemein am Markt zugängliches Objekt“.
  • „Eine Marktpreisermittlung des Fahrzeuges gestalte sich sehr schwierig.“, weil
  • „in der jüngsten Vergangenheit keine vergleichbaren Fahrzeugverkäufe festzustellen waren.“
  • „Der Markt werde durch Angebot und Nachfrage auch in Einzelfällen (gemeint sind Unikate) bestimmt.“
  • „Der derzeitige mögliche Verkaufswert des Fahrzeugs ließe sich nur dadurch exakt ermitteln, wenn das Fahrzeug aktiv am Markt angeboten und auch verkauft würde.“
  • Da keine Vergleichsfahrzeuge am Markt festzustellen seien, müsse er, der Sachverständige, sein durch langjährige Erfahrung und Schulung gewonnenes „Marktgefühl“ bei der Wertermittlung maßgeblich hinzuziehen.

Das Landgericht Ulm hat den Beklagten (der in I. Instanz noch durch einen Anwaltskollegen aus einer anderen Kanzlei vertreten war) auf Basis dieses Gutachtens letztlich zur Rückabwicklung des Kaufvertrages verurteilt und die sittenwidrige Gesinnung des Beklagten aus dem Missverhältnis von vereinbartem Kaufpreis und objektivem Wert des Veritas hergeleitet.

Gegen dieses Urteil ging der Beklagte in Berufung, bei der er sich durch Rechtsanwalt Lang vertreten ließ.

Neben verschiedenen anderen Argumenten, die von dem Oberlandesgericht geteilt und in dem Berufungsurteil genannt wurden, hat Rechtsanwalt Lang im Rahmen der Berufung natürlich auch das Gutachten des Dekra-Sachverständigen scharf angegriffen, weil die von dem Gutachter getroffenen Aussagen nach diesseitiger Überzeugung allein das Ergebnis begründen können, dass die Feststellung eines objektiven Wertes des Veritas eben gerade nicht möglich ist. Die Berufung des Sachverständigen auf sein „Marktgefühl“ wurde als grob unsachlich abgelehnt.

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat das Urteil des Landgerichts Ulm aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Berufungsurteil ist zwischenzeitlich rechtskräftig geworden.

In seiner Urteilsbegründung ist das Oberlandesgericht uneingeschränkt von den vorstehend skizzierten Grundsätzen zur Sittenwidrigkeit von Kaufgeschäften ausgegangen, hat jedoch eine sittenwidrige Gesinnung des Beklagten aus dem Missverhältnis von Kaufpreis und (angeblich) objektivem Wert des Veritas ausnahmsweise deshalb nicht vermutet, weil die Ermittlung des objektiven Werts des Veritas für den Beklagten zum einen ausgesprochen schwierig gewesen sei und der Kläger sich bei dem Erwerb zum anderen von dem erfahrenen Oldtimer-Experten, Herrn K, habe beraten lassen. Die Widerlegung der tatsächlichen Vermutung der Sittenwidrigkeit, wie sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eingreift, ist im Streitfall also (höchst?) ausnahmsweise gelungen.

Zu dem Gutachten des Dekra-Gutachters hat sich das Oberlandesgericht nicht kritisch geäußert, sondern es ist von dem vom Gutachter angegebenen Wert des Veritas ausgegangen (wenngleich es nach der Urteilsbegründung des Gerichts darauf nicht streitentscheidend ankam).

Konsequenzen für die Preisfindung beim Verkauf von Oldtimern / Empfehlungen für die Verhandlung von Oldtimer-Kaufgeschäften

Der Streitfall zeigt, dass die Wirksamkeit von Oldtimer-Kaufgeschäften angesichts der erläuterten Rechtsprechungsgrundsätze häufig auf wackeligen Beinen steht.

Ausschlaggebend dafür sind zum einen die dynamische Wertentwicklung auf dem Oldtimermarkt, bei der jährliche Wertveränderungen im zweistelligen Prozentbereich nach oben wie auch nach unten keine Seltenheit sind. Die hohe Volatilität der Werte von Oldtimern macht es den Marktakteuren damit schon von Natur aus schwer, den objektiven Wert von Oldtimern zuverlässig festzustellen.

Zum anderen sind bei Oldtimer-Kaufgeschäften für viele Akteure Liebhaberinteressen maßgeblich, die Grund dafür sind, dass mitunter (hohe) Kaufpreise gezahlt werden, die für außenstehende Dritte geradezu „irrational“ erscheinen.

Mit der Berücksichtigung solcher Affektionsinteressen tut sich die Rechtsprechung – naturgemäß – indes äußerst schwer, was schon anhand des geltenden Regel-Ausnahme-Prinzips bei der Anwendung der erläuterten Sittenwidrigkeitsvermutung deutlich wird, nach der bei einem Über- oder Unterschreiten des Kaufpreises um mehr als den Faktor 2 das Vorliegen von Sittenwidrigkeit inzidiert ist.

Hinzukommt, dass die Erbringung eines gerichtsfesten Nachweises für das Bestehen eines Affektionsinteresses auf Seiten einer der Kaufvertragsparteien im Regelfall äußerst kompliziert ist – einmal vorausgesetzt freilich, die bestehenden Interessen und Motive der Parteien beim Abschluss solcher Kaufgeschäfte werden überhaupt je (wenigstens teilweise) offenkundig.

Wie der Streitfall zeigt, trauen es die Gerichte den Gerichtsgutachtern dann aber vielfach zu, selbst bei Fahrzeugen, deren Wert sich praktisch ausschließlich aus Liebhaberinteressen ergibt, und sogar auch bei Unikaten (!), eine verlässliche Wertbestimmung vornehmen zu können (selbst wenn diese dann – wie hier – notfalls nur mit dem (subjektiven?) Marktgefühl des Gutachters begründet werden kann).

Zur Reaktion auf die nach alledem bestehenden Schwierigkeiten und rechtlichen Risiken beim Abschluss von Oldtimer-Kaufgeschäften, wie insbesondere die Beweisschwierigkeiten bei der Widerlegung der geltenden Sittenwidrigkeitsvermutung, können die nachfolgenden Maßnahmen hilfreich sein:

(1) Die Kaufvertragsparteien können im Vorfeld des Kaufabschlusses einzeln oder gemeinsam ein Sachverständigengutachten einholen, mit dem der Wert des zum Verkauf stehenden Oldtimers ermittelt wird. Idealerweise erklären sie nach Vorlage des Gutachtens dann noch übereinstimmend ihr Einverständnis mit dem Ergebnis des Gutachtens.

Wird das Gutachten einzeln eingeholt oder keine Einigkeit über dessen Ergebnis festgestellt, ist es umso bedeutsamer, dass das Gutachten von einem anerkannten Oldtimer-Fachmann stammt.

In allen vorstehenden Fällen darf der vertraglich vereinbarte Kaufpreis für den Oldtimer nicht außerhalb der Marge zwischen der Hälfte bis zum Doppelten des von dem Gutachter festgestellten Wertes des Oldtimers liegen, wenn das Risiko einer sittenwidrigen Nichtigkeit des Kaufgeschäfts bestmöglich vermieden werden soll.

(2) Schließlich ist es sinnvoll, schon im Rahmen der Verhandlungen über das Oldtimerkaufgeschäft die nachfolgenden Punkte sorgfältig zu dokumentieren bzw. entsprechende Protokolle anzufertigen:

–        Ablauf der Vertragsverhandlungen.

–        Persönliche Verhältnisse und (Fach-)Kenntnisse bzw. -Erfahrungen der Vertragsparteien sowie der an den Vertragsverhandlungen für die Parteien mitwirkenden Dritten.

 –       Wechselseitige Interessen und Motive der Vertragsparteien (soweit erkennbar).

Natürlich ist es unbedingt empfehlenswert, Gespräche mit den zukünftigen Vertragsparteien und/oder ihren Vertretern stets nur in Anwesenheit potentieller Zeugen zu führen (wobei dies etwa auch Familienangehörige sein können, solange sie nicht Miteigentümer des zum Kauf stehenden Fahrzeuges sind bzw. werden).

Bei Beachtung der vorstehenden Empfehlungen kann es unter Umständen gelingen, die Sittenwidrigkeitsvermutung mit Erfolg zu widerlegen, falls sich nachträglich herausstellen sollte, dass der vereinbarte und gezahlte Kaufpreis doch außerhalb der Marge zwischen der Hälfte unter und dem Doppelten über dem objektiven Wert des verkauften Oldtimers lag.